Vizepräsident Oscar Deutsch, STR Martina Enzmann (Foto Andreas Rausch)
STR Martina Enzmann wurde von der Israelitischen Kultusgemeinde mit der "Marietta und Friedrich Torberg-Medaille" ausgezeichnet.
Dieses Ehrenzeichen wird an Persönlichkeiten verliehen, die sich für eine offene und lebhafte Demokratie in Österreich einsetzen, die gegen das Wiedererstehen des Gestern und gegen das Vergessen eintreten. Martina Enzmanns unermüdlichem Bemühen ist es vor allem zu verdanken, dass das Komitee zur Erhaltung des jüdischen Friedhofes in Klosterneuburg heute bereits beachtliche Erfolge bei der Restaurierung Friedhofes aufweisen kann.
Laudator Thomas Trenkler (Foto Andreas Rausch)
Neben der Ortstafel von Klosterneuburg
Laudatio auf Martina Enzmann anlässlich der Verleihung der Marietta und Friedrich Torberg-Medaille am 17.Februar 2010 in Wien
Thomas Trenkler
Es muss um 1970 gewesen sein. Martina Enzmann war damals acht Jahre alt. Freunde der Eltern, die in Israel lebten, wollten, zu Besuch in Klosterneuburg, den jüdischen Friedhof besichtigen – in der Hoffnung, auf Namen zu stoßen, die ihnen bekannt waren. Und Martina Enzmann begleitete die Erwachsenen zum Friedhof, der am Stadtrand gleich neben der Ortstafel liegt.
Er soll recht intakt gewesen sein: Es stand noch die nüchterne Zeremonienhalle samt dem Pförtnerhaus. Und in diesem lebte ein alter Pförtner, der zwei Doggen hatte. Diese riesigen, schwarzen Zerberusse bewachten den idyllischen Friedhof, der aufgrund seiner abgeschiedenen Lage nie geschändet worden war – auch in der NS-Zeit nicht. Obwohl Martina Enzmann sich nicht mehr genau an diesen ersten Besuch des Friedhofs erinnern kann: Die Doggen, groß wie sie, blieben ihr unvergesslich. Irgendwann starb der Pförtner. Und das Gebäude, baufällig geworden, musste abgerissen werden. Die Doggen aber bewachen weiterhin den Friedhof: in der Gestalt von Martina Enzmann und ihren Freunden. Dass sie sich einmal für den jüdischen Friedhof von Klosterneuburg stark machen würde: Das hätte sich Martina Enzmann mit acht Jahren nicht träumen lassen. Und wohl auch später nicht.
1980, nach der Matura, begann sie Theaterwissenschaft und Germanistik zu studieren. Nebenbei führte sie durch Ausstellungen, zunächst im Chorherrenstift. Später, ab 1985 arbeitete sie mit bei der Organisation und Durchführung der NÖ Landesausstellungen. Bei „Manierismus“ und „Biedermeier“ im Wiener Künstlerhaus war Martina Enzmann, wenn man es so sagen darf, „Mädchen für alles“. Und dann, 1988, folgte die vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes konzipierte Schau „Wien 1938“: Martina Enzmann half beim Recherchieren und Aufbau, sie verkaufte im Bookshop, sie machte Führungen.
In Zuge dieser Tätigkeiten lernte sie Franz Endler, den gefürchteten Musikkritiker des „Kurier“, kennen: Er engagierte sie als Assistentin für die Buchreihe „Die Wahrheit 38-45“, die er mit Peter Weiser herausgab. Ihre Aufgabe war es unter anderem, die berührenden Tagebücher der Opfer zu transkribieren. Was sie da lesen und abschreiben musste: Das blieb haften.
Ihr Studium sollte Martina Enzmann – wie so viele Journalisten – nicht abschließen: Franz Endler holte sie in die Kulturredaktion des „Kurier“. 1994 gebar sie ihren Sohn Benjamin. Die Karenz bedeutete eine Zäsur: Martina Enzmann arbeitete auch danach für den „Kurier“, doch die Arbeit, die man ihr zuwies, befriedigte sie nicht. Sie war auf der Suche nach neuen Herausforderungen, sie arbeitete in einer PR-Agentur mit, sie übernahm das Lektorat der „Kleinen Klosterneuburger Zeitung“. 1999 schloss sie sich „spontan“ der „Bürgerunion“ an, wie die Grünen in Klosterneuburg damals hießen.
Im Jahr darauf war Martina Enzmann Gemeinderätin. Gleich mit ihrer ersten Eingabe provozierte sie eine Erregung: Sie schlug vor, an einem Wohnhaus in der Medekgasse eine Gedenktafel anzubringen, die daran erinnern sollte, dass auf diesem Grundstück die 1914 eingeweihte, mit Jugendstilmotiven verzierte Synagoge stand. Der Tempel war im November 1938, in dieser Nacht des Frevels, schwer beschädigt und 1991 abgerissen worden. Zwölf der dreizehn Stadträte hießen Martina Enzmanns Vorschlag zwar gut – und stimmten im Dezember 2000 für die Anbringung der Tafel. Und auch knapp zwei Drittel der Wohnungseigentümer hatten nichts dagegen einzuwenden.
Aber ein Freiheitlicher, gefangenen in seiner Gesinnung, tat Martina Enzmanns Engagement als „Profilierungsversuch“ ab – und sprach von „Zwangsbeglückung“, die es zu verhindern galt. Seine Argumente waren widerwärtig, kamen aber an. Und Martina Enzmann wurde angefeindet. Man schimpfte sie „Judenhur“ und anderes. Doch sie gab nicht auf. Denn sie hatte, wie sie es nennt, einen „Coach“ zur Seite. Er hieß Walter Lauber. 1938, mit 20 Jahren, war ihm die Flucht über die Berge in die Schweiz, weiter nach Frankreich und schließlich nach New York geglückt. Sein Vater und sein Bruder wurden von den Nationalsozialisten getötet – wie auch all seine Verwandte in Polen: die Großeltern, Tanten und Onkeln.
1942 meldete sich Walter Lauber als Freiwilliger zur US-Army, kurz vor Kriegsende wurde er in Italien schwer verwundet. Im Spital lernte er seine spätere Frau Cilly kennen, die ebenfalls aus Wien geflüchtet war. 1949, nach der Geburt ihres Sohnes Hans und kurz vor der Geburt ihrer Tochter Kitty, entschieden sie sich, nach Wien zurückzukehren. Walter Lauber half bei den Recherchen über Kriegsverbrecher für die Nürnberger Prozesse, er arbeitete als Journalist, er kämpfte in der Gewerkschaft. Als die Russen den Prager Frühling niederschlugen, kehrte er der Kommunistischen Partei den Rücken. Er trat für Frauenrechte ein, und schon früh schloss er sich der grünen Bewegung an.
Walter Lauber also machte Martina Enzmann Mut. Und auch manch anderer setzte sich für die Gedenktafel ein, darunter Leon Zelman. Im November 2002 konnte sie endlich enthüllt werden: Sie erinnert an den Tempel und an die „zahlreichen jüdischen Bürger unserer Stadt“, die dem nationalsozialistischen Terror zum Opfer gefallen waren. Die Gedenktafel ist eine solche aber im doppelten Sinn: Weil sie nicht an der Mauer des Wohnhauses montiert werden durfte, sondern davor, abgerückt, auf einem Stein liegt, ist sie auch Sinnbild für die Engstirnigkeit, die es noch immer gibt.
Keine vier Jahre später, im September 2006, starb Walter Lauber. Er wurde am jüdischen Friedhof von Klosterneuburg bestattet. Und hier schließt sich der Kreis: Martina Enzmann, nun, seit 2005, Stadträtin für Frauen, Familien, Schulen und Kindergärten, versprach ihrem verstorbenem Freund am Grab: „Du sollst einen Friedhof erhalten, der Deiner würdig ist.“
Auf ihr Betreiben wurde im Frühjahr 2007 das Komitee zur Erhaltung des jüdischen Friedhofes gegründet. Rund 80 Mitglieder zählt der Verein. Der Zeithistoriker Gustav Spann fungiert als Obmann, Miriam Karner, die Enkelin von Walter Lauber, als dessen Stellvertreterin. Und zahlreiche Persönlichkeiten unterstützen die Aktivitäten des Komitees, darunter Bürgermeister Stefan Schmuckenschlager, Altbürgermeister Gottfried Schuh, Oscar-Preisträger Stefan Ruzowitzky, Regisseur Peter Patzak, Stiftskustos Floridus Röhrig, Nationalratspräsidentin Barbara Prammer und Grünen-Chefin Eva Glawischnig. In enger Zusammenarbeit mit der IKG wird der Friedhof seither instand gesetzt. Die verfallene Zeremonienhalle wurde, wie schon erwähnt, abgetragen,die Zufahrt befestigt, die Gittertore wurden restauriert, Teile der Mauer erneuert, rund 60 der 650 Gräber saniert.
Auch wenn viele Schnorrbriefe nichts fruchteten, trotz unschöner Szenen, die sie erleben musste: Martina Enzmann kämpft mit einem Einsatz, der Respekt verdient, um den jüdischen Friedhof. Aus meinen wenigen Begegnungen mit ihr weiß ich: Sie ist ein quirliger, positiv denkender Mensch. Sie ist, wie man sagt, mit Haut und Haaren Kommunalpolitikerin. Ihr war wichtig, ein Stück Stadtgeschichte in Erinnerung zu rufen, das versunken, vergessen, verdrängt war. Sagt sie. Und sie ist – zu recht – schon auch ein bisschen stolz drauf, dass die Themen Gedenken, jüdisches Leben und das „Niemals vergessen“ in ihrer Geburtstadt nunmehr positiver besetzt sind.
Dieses Ein-bisschen-stolz-Sein ist ihr aber fast peinlich: Ich möge, bittet sie mich, nicht auf all die anderen vergessen, ohne die das Projekt nie hätte umgesetzt werden können. Sie nennt – neben Walter Lauber und Gustav Spann – auch Stadtamtsdirektor Michael Duscher, der ihr in vielen Gemeindratssitzungen bei Angriffen beistand. Norbert Winkler, den ehemaligen Hauptschuldirektor, der die Homepage www.juedischerfriedhof.at betreut. Erich Sinai, den 92jährigen Shoa-Überlebenden, der mit Rat und Tat zur Verfügung steht. Und Robert Burger, den Friedhofsbetreuer, der manche Leistung nicht verrechnet.
Die meisten von ihnen sind heute hier im Jüdischen Gemeindezentrum. Sie sind hier, weil sie Martina Enzmann gratulieren möchten, die mit der Marietta-und-Friedrich-Torberg-Medaille ausgezeichnet wird. Denn ohne sie gäbe es wahrscheinlich keine Gedenktafel bei der ehemaligen Synagoge. Und ohne sie würde kaum einer wissen, welches idyllische Kleinod am Stadtrand von Klosterneuburg liegt. Gleich neben der Ortstafel.
v.l.: Gen.Sekr. Mag. R. Fastenbauer, Fr. u. Hr. Sinai, Vizepr. O. Deutsch, STR M. Enzmann,
Dr. T. Trenkler, Dir. N. Winkler, Mag. M. Duscher, M. Karner, Dr. G. Spann (Foto Andreas Rausch)
Dankesworte zur Verleihung der Marietta und Friedrich Torberg-Medaille am 17. Februar
Martina Enzmann
Es gibt Plätze auf dieser Welt, wo man sich geborgen fühlt. Wo man atmen kann, wo man zur Ruhe kommt. Für mich ist einer dieser Orte der jüdische Friedhof Klosterneuburgs. Wenn ich das Grab von Walter, Cilly und Ernst Lauber – er ist nicht in Klosterneuburg bestattet, Ernst wurde in Auschwitz ermordet, besuche, spüre ich das Lächeln dieser drei Menschen. Mich umfängt eine Fröhlichkeit und eine tiefe innere Ruhe greift um mich. Ich spüre, dieser Friedhof lebt.
Die Vögel zwitschern, der Dachs gräbt seine Gänge, im Winter im Schnee sind die Spuren der Tiere zu sehen. Der Friedhof lebt.
Robert Burger und sein Helfer sichern Grabsteine, erneuern Inschriften, polieren Tafeln auf. Schülerinnen und Schüler der Hauptschule Hermannstraße arbeiten an den bereits restaurierten Gräbern, putzen, entfernen Unkraut, säubern die Wege.
Ja, dieser Friedhof lebt!
Er führt zwar weiterhin sein idyllisch verstecktes Dasein, neben der Ortstafel. Aber er ist nicht vergessen. Die hier bestatteten Menschen in den 650 Gräbern sind nicht vergessen, immerhin waren sie bis 1938 unsereKlosterneuburger Mitbürger. Und sie sind es heute wieder, wenn auch nur in unserer Erinnerung.
Ich danke von Herzen allen, die mich in dieser Arbeit unterstützt haben, die mich durch schwere Zeiten begleitet und mich nicht alleine gelassen haben. Sie wurden in der Laudatio bereits benannt, ich möchte noch ergänzen: Erich, Gustav, Norbert, Michael und Miriam, ich danke euch nicht nur fürs Mittun sondern vor allem für eure Freundschaft..
Zwei persönliche Danksagungen möchte ich noch hinzufügen: Großer Dank gebührt Generalsekretär Mag. Raimund Fastenbauer , Sie sind mir von unserer ersten Begegnung an im Herbst 2006 nicht nur mit Wohlwollen sondern auch jedmöglicher Unterstützung seitens der IKG entgegengekommen und haben in unser Projekt vertraut. Für die Auszeichnung, die mir heute zuteil wurde, möchte ich mich auch bei Ihnen, Herr Vizepräsident Deutsch bedanken, ich sehe diese Medaille als Wertschätzung unserer Arbeit, als Auszeichnung für unser Komitee.
Und schlussendlich möchte ich mich bei meinem Laudator, Dr. Thomas Trenkler vom Standard, bedanken. Er wusste, wie schwer ich mit Lob und Anerkennung umgehen kann, er hat es auch in seiner Laudatio erwähnt, was mir peinlich ist. Lieber Herr Dr. Trenkler, mir war nichts peinlich heute Abend, ihre Worte haben mich sehr berührt, ihr wunderschöner Text wird noch lange in meiner Seele nachschwingen.
Ich war gestern am Friedhof, um zu atmen, um Ruhe zu finden. Und ich werde morgen wieder hingehen, mit einer Fröhlichkeit im Herzen und der Marietta und Friedrich Torberg - Medaille in der Hand. Um mich auch dort zu bedanken, wo alles begonnen hat, an Walters, Cillys und Ernsts Grab.
Und ich weiß, sie werden wieder lächeln. Danke.